Tagebuch ab 30-3-45

30. März 1945


Wenn doch nur der Himmel käme! Es vergeht wohl keine einzige Stunde, in der ich das nicht denke.
Mürbe wird man dabei, sehr mürbe. Und es ist doch gar nicht möglich.
Wo er wohl stecken mag? Die letzte Nachricht war vom 19. Februar, und viel hat sich geändert
seitdem an der Front. Der Amerikaner steht vor Nürnberg, ist in Würzburg, Heidelberg, Wildungen, Paderborn.
Du, mein Gerhard, wo magst Du sein? Warum ist nicht Schluß mit dem schrecklichen Krieg,
jetzt, da er doch endgültig verloren ist. Der Russe ist in Pommern, in der Mark Brandenburg,
in Schlesien, der Lausitz, ja, jetzt auch in Österreich.Was soll's denn noch, dieses Morden?
Ach, so genug hab ich's, und dann, wenn ich den Gerhard denke, wenn ich ihn hier bei mir denke,
dann wird etwa so stark, daß mir fast die Tränen kommen möchten. -
Müde bin ich jetzt, möchte nur schlafen, immer schlafen. Nicht einmal den Alarm, nichts höre ich:
so ist mein Schlaf. Aber es war ja grad erst Alarm, vielleicht bleibt's heut ruhig. Und doch, schrecklich
gleichgültig steh ich da, auch im Wachen fast schlafendund nur die Sehnsucht ist stark und wach,
die Sehnsucht nach meinem Schlumps - und nach Ruhe.
Gute Nacht.

31. März 1945


Der Hans ist vermißt. Armer, kleiner Rüpel.Kann es denn kein Ende haben, dieses Morden?
Daß es da niemenden gibt, der Halt gebieten kann, geradezu zum Verzweifeln ist es. Und ich
mag nicht mehr, nein, ich will nicht. Ich kann wohl auch bald nicht mehr, wenn der Himmel nicht kommt.
Bin ich allein, so würgt es an der Kehle, beim Gedanken an Dich, Gerhard, kommen mir die Tränen auf
offener Straße. Alles, alles ist nur ein einziges Zusammenreißen. Wielange die Nerven da wohl noch mitmachen?
Ach Lümmel, wenn Du nicht wärst, ich könnte Schluß machen mi
t allem. Alles Beten und Bitten, alles Flehen ist
kurz nur: Komm.
Wie gleichgültig die Front mir ist heut. Küstrin ist gefallen, ja, und der Russe wird vielleicht bald hier sein,
und  mit ihm Grauen und Schrecken, aber alles das versinkt in dem einen Schrei: Komm!
Mein Lümmel. -
Und der Rüpel sitzt in der Ungewißheit, hofft und wartet, und weiß, daß der Hans schon verwundet war.
O Gott, wie groß muß das Elend werden, bis das Maß voll ist? Ich will nicht mehr. Nein. Ich will nicht.
Das mußt Du mir verzeihen.

1. April 1945


Diese Unruhe, die ich jetzt immer in mir hab, ist ja kaum noch zu ertragen. Nicht nur abends, nein,
heut  sitz ich nun schon morgens auf meinem Bett und schreibe. - Was? -
Im Grunde nichts, nur um dieses ruhelose Wühlen zu übertönen. Ach, heut nacht hab ich vom Himmel
geträumt. Er war bei mir. O, wär's doch Wahrheit!
Und das ist nun Ostern.

2. April 1945


Vorbei das Osterfest - und man hat's nicht gespürt, gar nicht. Den ganzen Tag kein anderes Wort als Krieg,
Hunger, Mord und Wahnsinn. Der Russe kurz vor Wien, der Amerikaner vor Eisenach. Was soll man da noch
schreiben? Hab kaum geschlafen in der letzten Nacht, eine gräßliche Unruhe war das, die da in mir wühlte
und viele, zu viele Gedanken. Mein Himmel, wenn ich doch wenigstens wüßte,wo Du bist.
Ach, wenn ich in den Spiegel schaugrad anfangen zu weinen könnt ich. Will doch, daß Du eine ganz junge
Frau bekommst, Du, und ich she doch täglich mehr, wie scharfe Linien sich eingraben wollen ins Gesicht.
O Du, nicht daran denken will ich, mein lieber, lieber Gerhard, ich möcht doch alles, alles aufsparen - nur für Dich.

3. April 1945


Eigentlich ist's ja schon der 4. jetzt um 1/2 2 Uhr, aber es gehört wohl doch noch zum 3. Viel solls nicht werden,
weil ich gar zu müde bin. Seit 11 Uhr Alarm, man hat da wenig Lust zum Schreiben nach Mitternacht. Ist ja auch
nicht viel zu sagen. Hausarbeit, Nähen, Rutschen. Die Gedanken dabei, die laß ich heut lieber. Bei Rüpel am
Abend, dasselbe war's fast, wie schon den ganzen Tag hier.
Nein, heut will ich endlich einmal ruhig schlafen. Schluß.

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Das sind Auszüge aus Tagebuchaufzeichnungen im ereignisreichen Jahr 1945, aufgeschrieben von
Ursula Böhme  aus Potsdam - Babelsberg (bei Berlin). Sehr Persönliches mischt sich mit den
historischen Umwälzungen, die diese Zeit des Kriegsendes charakterisieren.
Wird der Schlumps aus dem Krieg zurückkehren? Welche Besatzungsmacht wird zuerst in der Ufastraße
(Stahnsdorfer Str.) eintreffen? Wie verlief der Alltag zwischen Anstehen nach 500 g  Brot und Plünderung des Konsumlagers?