19. Juni 1945
Ganz kurz nur:
Noch immer Ungewißheit der Räumung wegen. Ständig steht amn
mit einem Fuß draußen.
Wagt sich nirgendwo hin . Überall Russen. Wohl Hunderte auf
unserer Ecke.
Heute auf dem Arbeitsamt gewesen. Soll arbeiten - Saubermachen
oder sowas. Bin nicht
hingegangen. Will morgen zum Amtsarzt auf eigene Faust. Was
wird das ergeben?
Alles, alles ist ungewiß.
Vati sagt, man kann sich zum Lehrerberuf melden, da möcht ich
morgen auch gleich
Erkundigungen einziehen. Vielleicht ist das gar nicht
schlecht? Zeichenlehrerein?
Müßte doch Freude machen, und dann: die Worte "Arbeit" und
"Brot" bekommen
immer größeren Wert. Ach, ich wag gar nicht daran zu denken,
es wär wohl fast zu schön.
Ach Gott, ich bin doch noch jung, warum sollt's denn da nicht
gehen? Was Lümmel, bloß
seine hellen Augen darf man nicht verlieren, dann ist schon
alles gut. Wir schaffen's schon,
komm nur!
25. Juni 1945
Hab immerzu
schreiben wollen und konnte doch nicht. Wie ein Lied klang die
Sehnsucht in mir, ich hätt es singen mögen: "Lümmel" Wie oft
hab ich mich
zwingen müssen, auf meinem Platz zu bleiben, nicht loszulaufen
nach draußen,
um nachzuschauen, ob der Lümmel kommt. Wie Ausschau nach der
Ruhe, nach
dem Frieden ist das. Und wenn der Schlumps die Unruhe selbst
wär, auch dann.
Nur einmal mit ihm alles besprechen können, einmal nicht so
allein in dem Chaos stehen.
Grad weil die Zukunft in jeder Beziehung so sehr ungewiß ist,
ja grad darum.
Oft denk ich, es ist wohl Egoismus, wenn ich mir den Lümmel so
sehnlichst herwünsche;
denn wenn er im Westen ist, dann geht's ihm doch besser, viel
besser als es ihm hier
irgendwann gehen könnte. Ach, ist ja alles dumm, Uschi, was Du
sagst. Hör auf,
träum weiter, wenn Du kannst...
30. Juni 1945
Ein Abend ohne
Grübelei, ohne Hin und Her. Wer weiß, was das bedeutet für
uns.
Die Amerikaner zelten hier., hinten im Wald. Vor uns Russen,
hinten die Amerikaner.
Wer kann ermessen, wie froh wir schon sind. Wie lustig
war's mit den Yankees heut
abend. wenn sie nur blieben. Aber ich glaub noch nicht dran.
Jedenfalls kann man
atmen; wie gut das tut. Sie sind wie die Deutschen, ja grad
so. Ich mußt es schreiben,
ich mußt es einfach. wenn sie nur nicht wieder gingen.
13. August 1945
Lümmel, der Herr
Hoffmann ist in Wannsee. Du, aus Bayern ist der hier. Wär ich
Frau Hoffmann, gelaufen wär ich, gerannt zu ihm hin, ich
hätt's geschafft.
16. August 1945
Über einen Monat
warst Du stumm, Uschi. Stumm. Dabei gab's jeden Tag
Neues;
Gutes und Böses, Lustiges und Trauriges, viel Unruhe und Angst
auch. Vielleicht
war's auch zuviel von allem, zuviel Lust und Leid. Heut mag
ich nichts mehr schreiben
davon, jetzt, wo ich im Augenblick leben kann einzig und
allein im Augenblick. All das
andere wird so im Gedächtnis bleiben, und das ist genug.
Ja, und was ist der Augenblick? Sehnsucht, Träumen, Verlangen.
Ach Lümmel,
bleibst doch zum Schluß nur Du, allein Du.
Alles,alles tritt zurück. Das Räumen, vor dem wir wieder
stehen, die Besatzungsfrage,
einfach alles. Nur das Warten bleibt, das stille Warten, das
oftmals nicht still bleiben will,
das hart, wild und fordernd wird. Du, Du - mein Mann. Was ist
mir noch Wohnung, was
ist mir das ganze Leben hier, die Äußerlichkeiten, für die ich
ja dankbar, sehr dankbar bin
und bleibe, aber was ist mir das. Alles ohne Dich, allein.
Oftmals denk ich, ich müßte
auswandern mit Dir, weit weit fort, nach Australien. Wir
würden's schon schaffen dort, Du.
Was ist das bloß für ein Schicksal, das alle Menschen so
grenzenlos allein läßt. Ach,
aus allem heraus ins rechte Leben, einen Anfang haben, ihn
sehen und nicht die Hände
gebunden fühlen. Lümmel, oftmals ist es zum Wahnsinnigwerden
so allein. Aber ich wollt
davon ja nicht schreiben. Es wär nur so gut, wenn Du kämst.
Oder wenn ich wenigstens
eine Nachricht hätte von Dir. Sieh, die Annemarie hat vom
Martin ein Lebenszeichen aus
Reichenhall und wer weiß, vielleicht ist er agr schon bei ihr
in Schönebeck. Und wo bleibt
mein Lümmel? Ich will versuchen, den Sender im Radio zu
finden, der abends immer Grüße
von Soldaten bringen soll. Weißt Du, ich denk immer, Du bist
in Gefangenschaft und nach
Frankreich zum Arbeitseinsatz gekommen, sonst hätt ich doch
schon etwas hören müssen
von Dir. Mein lieber, lieber Gerhard.
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