<head> <meta http-equiv="content-type" content="text/html; charset=UTF-8"> <title>Tagebuch Ursula Buckow ab 9. April 1945 bei Berlin 03

9. April 1945

Nun fehlt ein Tag hier, und es ist das erste Mal, daß es geschieht. Wieder, wie jeden Tag hab ich das
Büchlein auf den Knien und schreibe.Nur in der Firma heut, nicht auf der Bettkante zu Haus, und die
Heizung an meinem Rücken ist wohlig und warm. Wie gut das tut nach dieser schrecklichen Nacht,
in der ich wach gelegen habund gezittert vor Frost. Warum denn nur? Es ist doch Frühling. So vieles
kann man sich manchmal nicht erklären, und noch jetzt durchläuft ein unerklärliches Kältegefühl
meinen Körper. Wie gut, daß geheizt wird heut.
So, und endlich will ich nun anfangen. Ich will ja den Sonntag, den 8. April schildern. Sonntag,
Tag voll innerer Unruhe, wie jeder andere auch! Zuerst, da ist man getrieben, putzt und wischt,
denn alles soll ja blank sein, sauber und hübsch. Die Blumen weren gegossen, die Vasen gefüllt
und will man sich freuen an seinem Daheim. Und warum kommt die Freude nicht? Man sitzt so
mittendrin in allem, was so wohltun könnte, was so gut und schön ist - und wartet. Auf wen?
Auf was? dann plötzlich kommt es mir zum Bewußtsein, daß ich es eigentlich für jemend getan
habe, der gar nicht hier ist. Und so steigt die zitternde Unruhe. Man schaut in die Luft und wartet.
Und heiß wird einem und das Frösteln kommt.
So war es auch gestern. Niemand kam. Doch abends endlich, ganz plötzlich, kommt Gerhards
Mutti herein, ja, und wenn's nun auch er nicht war, seine Mutti kam nun wenigstens.
Einen Brief zeigte sie mir vom Schlumps, der schon alt war. Viel älter als der, den ich zuletzt bekam.
Und doch wurde ich so ruhig plötzlich. Nun war mir's, als wär mein Lümmel mitgekommen...
Und warum ich nun noch weiter so freieren mußte, die ganze Nacht, bis jetzt, ich weiß es nicht.

11. April 1945

Wieder ist ein Tag ausgelassen. Aber was ist so ein Tag? Was war denn dieses Gestern?
Noch auf dem Heimweg von Arado gab's Alarm.Kaum daß sie anfangenzu Entwarnen bin
ich losgerannt zum Kaufmann. Nun, es gibt Leute, die noch schneller sind, die näher wohnen;
der Laden war fast voll...
Nachhausekommen, 1/2 Stunde Rutschen, Essen. Plötzlich wieder kein Licht: Fängt man halt 
bei einer trüben Funzel an abzuwaschen. Dann geht das Licht an, und - Alarm von 3/4 10 bis 1/4 1!
Was soll man noch danach? Und so ist ein Tag wie der andere. So wie der 10.4.,
an dem ich nichts mehr schrieb.

12. April 1945

Hab dem Kepp gesagt, er soll heut nachmittag zu uns kommen. Wer weiß, wieviel Tage
oder Stunden man sein Dach noch über dem Kopf hat. Mit der S-Bahn kann man ohne
Genehmigung nicht mehr fahren, ist abgeriegelt von der ganzen Welt - dabei der Amerikaner
nicht mehr weit. Schon über Magdeburg hinaus soll die Spitze sein. Ob das stimmt?
Ach Annemarie, hoffentlich geht's Dir gut mit Deinem Purzel. Und Ihr Altenzauner,
spürt Ihr den Krieg auch schon ? Über Stendal hinaus sollen schon sein, oder ist es
nur Gerede? Wie sinnlos das alles ist. Wie sinnlos. -
Wenn's nur bald aus wär, das alles. Angst habe ich nicht ein bißchen davor, nur das
Verzögern, das mag ich nicht.

18. April 1945

Nun schreib ich hier im Dämmern in der Althoff-Schule, - endlich einmal wieder.
Diesmal ist's kein Flüchtlingslager, in dem ich Nachtwache mache, nein, heut sind
Bombengeschädigte hier. 20 000 Obdachlose in einer Nacht. Armes Potsdam,
nun ist die letzte unbeschädigte Stadt in Deutschland auch noch zerstört.
Und das alles so kurz vor dem Ende. Denn das Ende muß doch nah sein, es muß!
Amerikaner und Russen, beide nicht weit von Berlin, was gibt es da noch für Kriegsgründe?
Die Firmen können nicht mehr arbeiten, sie haben auch gar keine Arbeit für all die Menschen
mehr. Und Arado ist kaputt. Meine letzten Sachen hab ich mir geholt heut, denn mein
Schreibtisch stand gänzlich unbeschädigt zwischen all den Trümmern, ganz einsam, ganz allein.
Wie lang noch, dann geht die Sirene wieder, ganz wie jeden Tag. Schon seit über einer Stund
strömen die Menschen zum Bunker, um einen Platz zu bekommen - welch ein Wahnsinn!
Es ist doch eigenartig, daß ich so gar keine Gedanken hatte, als am Sonnabend 40 Minuten
lang Bombe auf Bombe fiel. Nichts hab ich gedacht. Hab nur immer ganz sachlich festgestellt,
 wie weit sie noch entfernt waren. Oder, daß eine Scheibe in Trümmer ging, daß Kalk rieselte
und der Luftdruck die Haare wie im größten Sturm fliegen ließ.
Und komisch: gezittert hab ich doch, am ganzen Körper sogar, wenn's auch keiner gemerkt hat.
Ja, seltsam, denn nicht eine Sekunde war ngst in mir. Ganz sachlich, ganz nüchtern war ich,
wie gleichgültig. Das Schicksal läßt sich so gar nicht durchschauen.
Wüßt ich nur, wie's dem Lümmel geht. Auf Post wart ich nun nicht mehr. Und sonst?
Ja sonst wart' ich sehr und ich hab ein großes Vertrauen und das darf Gott mir niemals nehmen.
Nun she ich gar nichts mehr, schreib so ganz nach Gefühl. Wie das wohl aussieht bei Licht?
Gäb's doch endlich wieder mal Strom. Heute gab's das erste Mal wieder eine Zeitung.
Und da muß ich aufhören.



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