19. Mai 1945

Hatt ich Lust zum Schreiben, war die Zeit zu knapp, hatt ich einmal Zeit, dann war's mit der Lust vorbei.
Auch heut mag ich eigentlich nicht und dunkel wird's auch schon. Nur ein paar Stichworte also. Seit dem
15. Mai wieder bei Arado. Tja, wer hätte das gedacht! Ich jedenfalls niemals. Es kommt halt immer anders
als man denkt und ich kann sehr froh sein über die Lösung: 4 Stunden Arbeitszeit bisher, von 9 bis 1 Uhr,
wenn's auch nur Saubermachen und Schuttwühlen war die ganzen Tage. Langsam wird dieser Stall, dieses
Loch wieder ein Büro. Aber ob wir dann dableiben, wenn alles blank und schön ist? Vielleicht kommen
dann andere und setzen sich rein. Abwarten, immer nur abwarten.
Und an den Lümmel muß ich denken, täglich, stündlich. Wo er wohl steckt? Ob er bald kommt? Immer
wieder heißt's Geduld haben, warten,warten,warten.
Oma war in Berlin. Vorgestern ist sie hingelaufen, heut kam sie zurück. Das sie das so kann! Eine Leistung,
staunenswert, denn die Uschi wär wohl bald ein größerer Schlappschwanz. Dann war Oma gestern in
Siemensstadt. Ach Gott, womit haben Gerhards Eltern das verdient, daß sie durch so viel Leid gehen
müssen. wieder haben sie alles verloren. Alles. Auch aus ihrem Zimmerchen mußten sie heraus. Und
Keysers tot. Selbstmord.Es ist alles so unbegreiflich. Ich kann mich auch nicht freuen, weil ich nun all
das behalten hab, von dem ich dmals schon Abschied genommen habe. Ich bin doch nicht besser als
all die anderen, womit hätt ich das Gute denn verdient. Und wenn ich Abend für Abend voller Dankbarkeit
zum Himmel schaue, will da leise Angstgefühl nicht fortgehen, daß es noch nicht so bleibt, daß alles dies
noch nicht zuende ist. Und ich mag doch nicht mehr. Ruhe will ich, nur Ruhe. - Nie mehr einen Krieg. -

22. Mai 1945

Gestern war die Elli mit der kleinen Ute hier. Ist der Spatz niedlich! Und was haben sie alles durchmachen
müssen. Aber so leicht ist der Mensch nicht unterzukriegen.

Jetzt sitz ich grad bei Arado. Hab nur einen Augenblick Zeit, und was sollt ich auch schreiben?
Muß nur immer an den Lümmel denken. Käm er doch!


23. Mai 1945

Kalt ist es hier im Büro, bitterkalt. Und grad jetzt, wo bis um 1/2 5 Uhr  gearbeitet wird.
Die Schrubberei hat hier nun für mich nachgelassen, dafür frier ich in dem Hof beim
Stillsitzen. Ist halt nie alles Gute beisammen. Und ich fühl mich so richtig doof und leer.
Wär der Gerhard hier, all mein Mut wär auch wieder da.  Aber so ist alles nur ein qualvolles,
ungewisses Warten. Und wenn er nicht kommt? - Seine Mutti spürt das, sagt sie. Ich kann
es nicht glauben. Und wenn ich's könnte, dann wollte ich's nicht. O gott, nein. Sollte es
denn immer und immer wieder sinnlos sein, das Leben, das man sich aufgebaut hat?
Wo sollt man dann immer wieder den Mut hernehmen, neu anzufangen. Nein, nein,
das kann ich nicht glauben! Ich warte auf meinen Lümmel und er muß kommen.


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